Beiträge zum Schulbuch „Europa – Unsere Geschichte“ aus dem Kontext der Schulbuchkommission in der Zeitschrift Polonus
In der seit November 2024 vorliegenden wissenschaftlichen Sonderausgabe der vom KoKoPol herausgegebenen Zeitschrift Polonus erschienen zwei Artikel aus dem Kontext der Deutsch-Polnischen Schulbuchkommission und der Arbeit am bilateralen Schulbuch „Europa – Unsere Geschichte / Europa. Nasza historia“.
In ihrem Beitrag „Geschichte und Geschichtsunterricht angesichts der Herausforderungen der Gegenwart. Innovation der Schulbuchreihe Europa – Unsere Geschichte / Europa. Nasza Historia“ berichtet Prof. Violetta Julkowska, polnische Co-Vorsitzende der Kommission, von geschichtsdidaktischen Kontexten, die bei der Entstehung der vierbändigen Schulbuchreihe eine zentrale Rolle gespielt haben. Als ein besonderes Bildungsmedium, dem ein Jahrzehnte langer Wissenschaftsdialog vorausgegangen war, steht „Europa – Unsere Geschichte / Europa. Nasza historia“ für eine kritische Geschichtsdidaktik, die sich insbesondere durch Perspektivwechsel und Gegenwartsbezug sowie Kompetenzorientierung auszeichnet und damit von rein szientistischen Ansätzen der Geschichtswissenschaft abhebt.
Prof. Julkowska rekapituliert den Weg der Konzeption des bilateralen Schulbuchs von 2008 bis 2010 durch einen von der Expertise der Deutsch-Polnischen Schulbuchkommission begleiteten Expertenrat, an dessen Beratungen sie beteiligt war. Sie behandelt die hohen Ansprüche und damit einhergehenden Herausforderungen bei der Ausarbeitung eines solchen Lehrwerks und zeichnet den Weg hin zu einer kritischen, europäisch gefassten Geschichtsdidaktik nach, die sich durch Multiperspektivität, Kontroversität, Pluralismus und deren didaktische Vermittlung auszeichne.
In ihrem Beitrag kommt Prof. Julkowska auch auf die spezifischen Besonderheiten zu sprechen, die bei der Konzeption bilateraler Schulbuchprojekte zu beachten sind. Diese zeichne einerseits das Konzept der Dialogizität aus, das die Schwierigkeit der inhaltlichen Abstimmungen nicht unterlaufe, es aber auch ermögliche, kulturell einende Momente der Geschichte herauszustellen. Prof. Julkowska thematisiert die Motivationen und Potentiale des im deutsch-polnischen Schulbuch umgesetzten mikrohistorischen Ansatzes („Regionen, die verbinden und trennen“) und hebt die zentrale Rolle der in der Deutsch-Polnischen Schulbuchkommission etablierten Dialogkultur hervor, die bei der Anbahnung, konzeptionellen Vorbereitung und Durchführung des Schulbuchprojekts entscheidend war.
Im zweiten Beitrag „‚Regionen, die verbinden und trennen‘ – Von der Notwendigkeit der Vermittlung der Geschichte der Grenzregionen in Polen und in Deutschland. Oberschlesien 1919–1921 in der deutsch-polnischen Schulbuchreihe Europa – Unsere Geschichte / Europa. Nasza historia“ nehmen Prof. Igor Kąkolewski, Präsidiumsmitglied der Deutsch-Polnischen Schulbuchkommission und wissenschaftlicher Projektkoordinator auf polnischer Seite, und Dr. Dominik Pick, Sekretär der Kommission auf polnischer Seite, am Beispiel Oberschlesiens die Besonderheit der regionalgeschichtlich orientierten Bezüge zu historischen Grenzregionen im deutsch-polnischen Schulbuch in den Blick.
Die Autoren erörtern die Vermittlung von Regionalgeschichte in „Europa – Unsere Geschichte / Europa. Nasza historia“, indem sie auf konkrete Inhalte im Kontext der Darstellung der drei oberschlesischen Aufstände von 1919 bis 1921 verweisen. Dieses komplexe und kontroverse Ereignis sei in besonderem Maße geeignet, didaktische Vorteile bilateral verfasster Schulbücher in den Vordergrund zu rücken, da die oberschlesischen Aufstände bis heute in der polnischen Erinnerungskultur und im Geschichtsunterricht eine große Rolle spielten, in Deutschland hingegen kaum mehr erinnert bzw. im Unterricht behandelt würden.
Regionalgeschichtliche Ansätze seien im deutschen Geschichtsunterricht aktuell zwar möglich, begrenzten sich aber lediglich auf Ereignisse und Orte in den je eigenen Bundesländern. Historische Regionen im östlichen Europa, die jenseits der heutigen Grenzen der Bundesrepublik Deutschland gelegen, dennoch für das deutsche Kulturerbe von Bedeutung seien, gerieten damit fast völlig aus dem Blick. Entsprechend finde sich die Thematik „Oberschlesien“ in deutschen Schulbüchern entweder gar nicht oder nur am Rande wieder, einschlägige Darstellungen seien von Sachfehlern nicht frei. Dies führen Prof. Kąkolewski und Dr. Pick auf die deutsche Kultur der Geschichtsvergessenheit in Bezug auf die 1945 verlorenen deutschen Ostebiete und auf Wissensdefizite der deutschen Schulbuchautor*innen und Lehrkräfte zurück. Demgegenüber seien regionalhistorische Ansätze in Polen, die die Komplexität einzelner Grenzregionen ausleuchten, ebenso kaum vertreten. Folglich lassen sich in polnischen Schulbüchern häufig undifferenzierte und vor allem nationalstaatliche Blickwinkel auf das Thema finden, die zudem oft nicht den aktuellen Forschungsstand widerspiegeln.
Auch solche Defizite nachzuholen war ein Anliegen bei der Konzeption von „Europa – Unsere Geschichte / Europa. Nasza historia“. Dies geschieht durch die Abschnitte mit der Überschrift „Regionen, die verbinden und trennen“, die den Erzählrahmen um regionalgeschichtliche Blickwinkel ergänzen. Durch die bandübergreifende Erzählung schlesischer Geschichte könne ein Grundwissen zur Rolle multiethnischer Regionen vermittelt werden, die den Rahmen nationalstaatlicher Meistererzählung sprengten.
Mit der Printausgabe der Zeitschrift Polonus wird eine vom KoKoPol mitkonzipierte Postkarte ausgeliefert, mit der die deutsch-polnische Schulbuchreihe beworben wird. Die Postkarte soll ebenfalls im breiteren schulischen und bildungspolitischen Umfeld vertrieben werden, um noch mehr Aufmerksamkeit auf das Produkt der bilateralen Schulbucharbeit zu lenken und dazu beizutragen, dass „Europa – Unsere Geschichte / Europa. Nasza historia“ in immer mehr Klassenzimmern Schule macht.
Weitere Informationen zu den Tätigkeiten des KoKoPol können unter https://kokopol.eu/ eingesehen werden.