Mitwirkung am Deutsch-Polnischen Forum in Berlin
Nach einer mehrjährigen Pause fand von 4. bis 5. Juni 2025 das von der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit im Auftrag des Außenministeriums der Republik Polen und des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland organisierte Deutsch-Polnische Forum statt. Die hochkarätig besetzte Veranstaltung startete am 4. Juni mit einem Auftakt in der Polnischen Botschaft in Berlin.
Der zweite Tag des Forums begann im Pilecki-Institut am Pariser Platz mit einem aus vier thematischen Slots bestehenden Panel unter dem Titel: „Polnische und deutsche Erinnerungskulturen in einer Zeit des Übergangs“, das vom Leibniz-Institut für Bildungsmedien | Georg-Eckert-Institut mitausgerichtet wurde. Als Moderatoren wirkten Prof. Dr. Krzysztof Ruchniewicz, Bevollmächtigter des Ministers für Auswärtige Angelegenheiten der Republik Polen für die deutsch-polnische zwischengesellschaftliche und grenzüberschreitende Zusammenarbeit und zugleich Direktor des Pilecki-Instituts, sowie Prof. Dr. Eckhardt Fuchs, Direktor des Braunschweiger Georg-Eckert-Instituts.
Bei den kurzweiligen Panel-Slots kamen jeweils zwei Historiker:innen ins Gespräch:
Slot 1: „Erinnerungskulturen im Wandel“ mit Prof. Dr. Igor Kąkolewski (Zentrum für Historische Forschung der Polnischen Akademie der Wissenschaften) und Dr. hab. Stephanie Zloch (TU Dresden). Prof. Dr. Kąkolewski wies auf eine der zentralen Fragen hin: Ob wir die Geschichte Polens ausschließlich als Geschichte der Polinnen und Polen definieren oder inklusiv als Geschichte polnischer Staatsbürger und damit aller ethnischen wie sprachlichen Gruppen Polens. Diese umfassendere Definition ermöglicht u. a. ein besseres Verständnis der Frage nach den Opfern des Nationalsozialismus – der polnischen Staatsbürger – und der deutschen Besatzung Polens während des Zweiten Weltkriegs. Stephanie Zloch merkte u. a. an, dass bei der aktuell nachvollziehbaren stärkeren Aufmerksamkeit für Ukraine oder Belarus die polnischen Themen zu kurz kommen könnten.
Slot 2 widmete sich gänzlich dem in Berlin geplanten Projekt des Deutsch-Polnischen Hauses. Es wurde entlang der drei Säulen („Gedenken, Begegnen, Verstehen“) vom Direktor des Deutschen Polen-Instituts Prof. Dr. Peter Oliver Loew vorgestellt. Wie kann man – so die zentrale Frage – den NS-Opfern, die polnische Staatsangehörige waren, gerecht werden? Zu den Erfahrungen mit den Angriffen gegen die ursprüngliche multiperspektivische Ausstellung und ihre wiederhergestellte offenere Definition der Opfer des Zweiten Weltkriegs äußerte sich Prof. Dr. Rafał Wnuk, Direktor des Museums des Zweiten Weltkrieges in Gdańsk/Danzig.
Im Slot 3 wurde das deutsch-polnische Geschichtsschulbuch „Europa – Unsere Geschichte / Europa. Nasza historia“ vorgestellt. Dieses Leuchtturmprojekt des binationalen Wissenschaftsdialogs entstand von 2007 bis 2020 unter der wissenschaftlichen Koordination des Zentrums für Historische Forschung Berlin der Polnische Akademie der Wissenschaften und des Braunschweiger Georg-Eckert-Instituts mit maßgeblicher Rolle der Gemeinsamen Deutsch-Polnischen Schulbuchkommission der Historiker und Geographen und unter der Schirmherrschaft der Regierungen beider Länder. Über die Hintergründe, die Nutzung und aktuelle Herausforderungen im Kontext der Implementierung, die etwa mit der Schaffung einer notwendigen virtuellen Lernumgebung für das binationale Schulwerk einhergehen, sprachen die polnische Co-Vorsitzende der Kommission, Prof. Dr. Violetta Julkowska von der Adam-Mickiewicz-Universität in Poznań/Posen und Dr. Marcin Wiatr vom Georg-Eckert-Institut. Beide hoben den zentralen didaktischen Mehrwert des deutsch-polnischen Schulbuchs hervor: Multiperspektivität, Kontroversität und offene Geschichtsbilder, die junge Menschen zum selbständigen Denken anregen und dabei didaktische Traditionen sowie Wissenshorizonte beider Länder miteinander in Dialog setzen. Darüber hinaus kündigten sie Arbeiten der Kommission an, die auf eine Digitalisierung der Schulbuchinhalte hinauslaufen, um sie in mehr Klassenzimmer dies- und jenseits der Oder zu bringen.
Der vierte Slot widmete sich der Zukunft der deutschen Erinnerungskultur. Hier kamen Frank Bösch vom Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung mit Prof. Dr. Robert Traba ins Gespräch. Beide Historiker waren sich u. a. darin einig, dass an die polnischen Opfer des NS-Regimes aufgrund der großen Aufmerksamkeit auf nicht nationale Kategorien bei gleichzeitig scharfer Auseinandersetzung mit dem eigenen Nationalismus weniger erinnert wird. Zudem plädierte Robert Traba an die Verantwortlichen in der Politik, gesellschaftliche Graswurzelbewegungen, die den bilateralen Dialog beleben, zu unterstützen.
Die intensiven Slots verliefen nicht ohne Zwischentöne und kontroverse Momente und machten deutlich, dass die Debatten nach wie vor vital, denn gesellschaftlich und politisch relevant bleiben. Die vier Zwiegespräche boten damit eine Bestandsaufnahme, bei der wichtige polnische und deutsche Entscheidungsträger der akademischen Welt ihre Argumente austauschen konnten.
Für die Deutsch-Polnische Schulbuchkommission, die an verschiedenen Programmpunkten des Forums sichtbar in Erscheinung getreten ist, war es wichtig, für das Weiterdenken der deutsch-polnischen Schulbuchreihe zu werben. Dieses Anliegen stieß auf reges Interesse, auch wenn die Meinungen über die Tragweite dieses besonderen Projekts des deutsch-polnischen Wissenschaftsdialogs auseinandergingen, was bei Aussagen von Prof. Robert Traba deutlich wurde.
In den letzten zwei Jahren hat die Kommission unermüdlich daran gearbeitet, die Implementierung des gemeinsamen Schulbuchs voranzubringen und dafür zu sorgen, dass es entsprechend wahrgenommen wird. Diese Bemühungen haben bereits im letzten Jahr Früchte getragen – noch bevor „Europa – Unsere Geschichte“ als Schulbuchreihe vom polnischen Bildungsministerium zugelassen war, wurde es von der Polnischen Akademie der Gelehrsamkeit mit einer Auszeichnung gewürdigt. So ist auch die Einladung der Kommission zum Deutsch-Polnischen Forum und die Ausflaggung des deutsch-polnischen Schulbuchs im Programm der Veranstaltung als eine Anerkennung der Tragweite dieses bilateralen Bildungsmedienprodukts zu betrachten. Ebenso hervorzuheben ist, dass das Thema seiner Implementierung auf der Agenda des Außenministeriums für bilaterale Beziehungen steht.
Dies kann als Erfolg des Schulbuchprojektes betrachtet werden, trotz aller bekannter Herausforderungen. Dieser Erfolg wäre ohne engagierte Mitwirkung der Präsidiumsmitglieder der Kommission ebenso wie der intensiven Zusammenarbeit der Mitglieder des Lehrkräfte-Arbeitskreises nicht möglich gewesen.
Unter den folgenden Links sind einige Eindrücke und mediale Berichte zum Forum zusammengefasst:
Einen Radiobeitrag, bei dem Krzysztof Ruchniewicz, Peter Oliver Loew und Marcin Wiatr zu Wort kommen, finden Sie hier:
Einen weiteren Rückblick finden Sie (auf Polnisch) unter https://www.ardaudiothek.de/episode/cosmo-po-polsku/niemcy-z-bliska-forum-na-trudne-czasy/cosmo/14690885/?fbclid=IwY2xjawK0uWpleHRuA2FlbQIxMABicmlkETA2NTZIb1JLUU9ZelhMamFDAR674quCEXGNtT8GFi9fsorN0aDfV4DAXxye8Hj6wVdWowgjkXpPjKX3Bir0lQ_aem_o7pWaUrgE7YWee3GI9tBqQ
https://www.dw.com/pl/w-berlinie-trwa-forum-polsko-niemieckie-po-siedmiu-latach-przerwy/a-72793698
https://www.dw.com/pl/forum-polsko-niemieckie-bia%C5%82e-plamy-w-kulturze-pami%C4%99ci/a-72806964