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Gemeinsame Deutsch-Polnische Schulbuchkommission feiert ihr 50. Jubiläum

Vom 22. bis 26. Februar 1972 fand in Warschau die erste Tagung der Gemeinsamen Deutsch-Polnischen Schulbuchkommission statt. Damit war der Grundstein für eine deutsch-polnische Erfolgsgeschichte der internationalen Schulbucharbeit in Europa gelegt. Die Kommission ist eine wichtige Plattform des Dialogs zwischen WissenschaftlerInnen und PädagogInnen beider Länder und ein Spiegelbild der deutsch-polnischen Annäherung. Zu ihrem runden Jubiläum kann die Kommission einen spektakulären Erfolg vorweisen, der 1972 kaum erreichbar schien: Das gemeinsame Geschichtsschulbuch für junge Deutsche und Polen „Europa – Unsere Geschichte“. Ihr 50. Jubiläum begeht die Kommission vom 30. Juni bis 2. Juli 2022 mit einer Tagung in Warschau.

Mit ihrem Jubiläum blickt die Gemeinsame Deutsch-Polnische Schulbuchkommission auf 50 Jahre manchmal schwierigen, aber oft gelungenen Wissenschaftsdialog zurück. Auf Initiative der deutschen und der polnischen UNESCO-Kommission wurde die Schulbuchkommission 1972 ins Leben gerufen. Während des Kalten Krieges war sie eine der wenigen Foren des geistigen und wissenschaftlichen Austauschs und hat wesentlich zur Aussöhnung der beiden Länder beigetragen. Von Beginn an unterstützte der Braunschweiger Historiker Georg Eckert das sensible Vorhaben – seitdem ist das deutsche Projektbüro der Schulbuchkommission am Leibniz-Institut für Bildungsmedien | Georg-Eckert-Institut beheimatet.

50 Jahre gelungener Wissenschaftsdialog

Nach den Schrecknissen und deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg entstand erst ab Mitte der 1960er Jahre ein Klima der Annäherung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Polen. Dies fand aber zunächst weniger auf der Ebene der Politik statt. In den Bereichen Kirche, Kultur und Gesellschaft kam es zu verstärkten Kontakten. Der Namensgeber des Braunschweiger Instituts, der Historiker und Pädagoge Georg Eckert, war damals Präsident der Deutschen UNESCO-Kommission. In dieser Zeit knüpfte er Kontakte mit Vertretern Ost- und Ostmitteleuropas und bereitete die Gründung von bilateralen Schulbuchkommissionen vor. Er engagierte sich unermüdlich und mobilisierte Politik und Öffentlichkeit für sein Anliegen.

Die politischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Polen entspannten sich Ende der 1960er Jahre. Beide Seiten bewegten sich aufeinander zu. Parteichef Gomułka bot der Bundesrepublik 1969 Verhandlungen an. Die Regierung Brandt, die ihre Ostpolitik nach dem Prinzip „Wandel durch Annäherung“ gestaltete, nahm dies auf. Im Dezember 1970 wurde der Warschauer Vertrag unterzeichnet, der die Unverletzlichkeit der Grenzen festschrieb. Diese neue deutsche Ostpolitik brachte für Polen mehr Sicherheit und Stabilität mit sich, in der Bundesrepublik war sie aber sehr umstritten.

Vom 22.-26. Februar 1972 fand in Warschau die erste deutsch-polnische Schulbuchkonferenz statt. Die Erwartungen im Vorfeld waren gering. Wenige Jahre zuvor hatten Schulbuchgespräche mit der Tschechoslowakei durch die Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 ein jähes Ende gefunden. Dennoch tagte bereits im April 1972 die Kommission in Braunschweig zum zweiten Mal. Hier erweiterte sie die in Warschau beschlossenen „14 Empfehlungen zur Behandlung der deutsch-polnischen Beziehungen in den Schulbüchern der Volksrepublik Polen und der Bundesrepublik Deutschland“ auf 17 Empfehlungen. Schon im Oktober 1972 konnte Georg Eckert auf 16 Veröffentlichungen der Empfehlungen z.B. in Amtsblättern oder Zeitschriften und auf Solidaritätserklärungen von acht Bundesländern verweisen. Die Empfehlungen kamen in einem bilateralen Dialog zustande, boten eine gemeinsame Interpretation der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte von den Anfängen bis in die heutige Zeit und waren als eine kompakte Darstellung gedacht, auch wenn sie keinen Anspruch auf Vollständigkeit hatten. Sie konzentrierten sich nicht nur auf die konfliktträchtigen Punkte der deutsch-polnischen Geschichte, sondern hoben auch viele verbindende Ereignisse hervor. Vor allem wollten sie keine bindenden Vorgaben machen, sondern zur Diskussion anregen.

Menschen im Dialog

Eine Kommission ist nie nur eine Institution als solche, sondern besteht immer aus Menschen. Deren Persönlichkeiten prägen ihre Arbeit. In der Deutsch-Polnischen Schulbuchkommission mit ihren ersten Ko-Vorsitzenden Georg Eckert (1972–1974) und Władysław Markiewicz (1972–1984) trafen sich Wissenschaftler mit sehr verschiedenen Charakteren und politischen Ansichten. Beteiligt waren Persönlichkeiten wie die Auschwitz-Überlebende Maria Wawrykowa (1925-2006) und über 40 Jahre hinweg der Nestor der deutschen Polenforschung Klaus Zernack (1931-2017). Unter den deutschen Teilnehmern waren Mitglieder politischer Parteien wie Parteilose. Unter den polnischen Teilnehmern waren Wissenschaftler, die mit den Machthabern verbunden waren wie auch solche, die dem sozialistischen System kritisch gegenüberstanden. Es einte sie ein Ziel: nationale Sichtweisen auf die Geschichte zu überwinden, sowohl konfliktbeladene als auch verbindende Elemente der Geschichte zum Thema zu machen und zu einer gemeinsamen Darstellung zu kommen.

Seitdem engagieren sich ForscherInnen und PädagogInnen aus Polen und Deutschland mit wissenschaftlich-didaktischen Empfehlungen für Lehrwerke beider Länder, um eine angemessene Darstellung der gemeinsamen Geschichte im Unterricht zu ermöglichen. Aktuell arbeiten in der Kommission als Ko-Vorsitzende die Posener Geschichtsdidaktikerin Violetta Julkowska und der Gießener Historiker Hans-Jürgen Bömelburg. Auch wenn sich die Bedingungen für die Schulbucharbeit geändert haben; nach wie vor ist sie hochaktuell – denn noch immer wissen deutsche Schülerinnen und Schüler wenig über die Geschichte Polens und Ostmitteleuropas und auch für Jugendliche im heutigen Polen ist es wichtig, sich der gemeinsamen Geschichte auch aus den Blickwinkeln der Nachbarn zu nähern.

Gemeinsames Schulbuch als Meilenstein

Gemeinsam mit dem Georg-Eckert-Institut und seinem polnischen Partner, dem Zentrum für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften, war die Kommission die treibende Kraft bei dem 2008 ins Leben gerufenen Projekt eines gemeinsamen „Deutsch-Polnischen Geschichtsbuches“. Sein Ziel war die Erarbeitung eines identischen, nur sprachlich unterschiedlichen curricularen Geschichtsbuches für Gesamtschulen und Gymnasien der Sekundarstufe I, das sich zentralen Fragen der europäischen und der globalen Geschichte aus der deutsch-polnischen Perspektive nähert. Beide Seiten wollten so die geschichtlichen Erfahrungen des Nachbarlandes in die schulische Vermittlung mit einfließen lassen und den bi- wie transnationalen Wissenschaftsdialog über historische Themen vertiefen. In Deutschland fungierte der Verlag „Eduversum“ als Partner, in Polen der Verlag „Wydawnictwa Szkolne i Pedagogiczne WSiP“. Mit dem 2020 abgeschlossenen Projekt des vierbändigen gemeinsamen Geschichtsschulbuchs für junge Deutsche und Polen „Europa – Unsere Geschichte / Europa. Nasza historia“ ist nun ein Meilenstein geschafft. Das derzeit europa- und weltweit einmalige Schulbuch unterstreicht die Relevanz der aktuellen Kommissionsarbeit und wurde 2021 in der Kategorie „Gesellschaft“ als „Schulbuch des Jahres“ ausgezeichnet (vgl. http://www.gei.de/preise/schulbuch-des-jahres/nominierungen/2021.html).

Inspirationsquelle für internationalen Schulbuchdialog

Der 50jährige Wissenschaftsdialog der Kommission und deren Projekte wirken bis heute nach: Wenn man sich in anderen Regionen der Erde daran macht, die Darstellungen in den Schulbüchern gemeinsam mit den Nachbarländern zu überarbeiten, greift man häufig die deutsch-polnischen Erfahrungen in diesem Bereich auf. Ein Beispiel hierfür ist die Region Ostasien. Die Darstellungen des Zweiten Weltkriegs in dortigen Schulbüchern wurden in den letzten Jahren kontrovers diskutiert. Der Schulbuchdialog zwischen China, Südkorea und Japan ist inspiriert von den deutsch-polnischen Erfahrungen.

Die geplante Tagung in Warschau reflektiert 50 Jahre gemeinsamer Arbeit, stellt Band 4 des gemeinsamen Schulbuchs einer polnischen Öffentlichkeit vor, diskutiert die Aufgaben von Schulbüchern im Rahmen moderner Wissensgesellschaften und leistet einen erweiterten Blick auf Geschichtsvermittlung in Museen und Öffentlichkeit.

Die Gemeinsame Deutsch-Polnische Schulbuchkommission wird koordiniert vom Leibniz-Institut für Bildungsmedien | Georg-Eckert-Institut und dem Zentrum für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften. Umrahmt wird der Festakt von einer dreitägigen Tagung: Bei der 38. Deutsch-Polnischen Schulbuchkonferenz vom 30. Juni bis 2. Juli 2022 in Warschau diskutieren WissenschaftlerInnen und Lehrkräfte zum Thema „Im Dialog. Geschichte neu denken“. Die Arbeit der Schulbuchkommission wird gefördert durch das Auswärtige Amt.

Weitere Informationen unter:

http://www.gei.de/home.html
https://schulbuchkommission.eu
https://europa-unsere-geschichte.org